Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Newsarchiv
2013
Jan Feb Mär Apr Mai Jun
Jul Aug Sep Okt Nov Dez

2012
Jan Feb Mär Apr Mai Jun
Jul Aug Sep Okt Nov Dez

Weiteres

Newsarchiv: Ringvorlesung

Jahr 2012

Prof. Rupert Mutzel [Berlin] - 19.06.2012

Soziale Amöben: Vom Einzeller zum Vielzeller

Abstract:

Soziale Amöben wachsen in ihrer vegetativen Lebensphase als einzellige Amöben auf anderen Bodenmikroben, die phagozytiert werden. Wenn das Verhältnis zwischen der Menge an verfügbarer Nahrung und Amöbendichte einen kritischen Wert erreicht, lassen sich die Zellen auf ein "soziales Abenteuer" ein, einen asexuellen Entwicklungsprozess, in dessen Verlauf aus einer Population individueller Amöben ein echter vielzelliger Organismus aus zwei klar definierten Geweben mit differenzierten Zellen entsteht, toten Stielzellen und keimungsfähigen Sporen.

Während der Entwicklung von Dictyostelium sammeln sich bis zu 100 000 individuelle Zellen durch Chemotaxis in einem Aggregat, das sich in eine nacktschneckenähnliche, polare Struktur umwandelt und von einer extrazellulären Matrix umgeben ist. Dieser "Slug" kann sich nun auf die Suche nach günstigen Bedingungen für die Ausbildung des Sporenträgers machen und wird bei seiner Wanderung durch äußere Reize wie Temperatur oder Licht geleitet. Bei der Kulmination zum reifen Fruchtkörper stellt sich die Spitze des Zellverbands, in der die zukünftigen Stielzellen versammelt sind, senkrecht zum Substrat und die differenzierenden Stielzellen wandern in einer morphogenetischen Zellbewegung, die an die Gastrulation bei den Embryonen höherer Organismen erinnert, durch die Masse der zukünftigen Sporenzellen zur Basis. Dabei differenzieren sie terminal zu reifen Stielzellen, die sich nicht mehr vermehren können. Die künftigen Sporenzellen werden mit dem Längenwachstum des Stiels nach oben gehoben und bilden ein Köpfchen aus reifen Sporen, die gegen Umwelteinflüsse resistent sind und von denen jede einzelne einen neuen Zyklus beginnen kann.

Von den etwa hundert beschriebenen Spezies sozialer Amöben ist Dictyostelium discoideum am besten untersucht und gilt als Modellsystem für entwicklungsbiologische, zellbiologische, in letzter Zeit auch medizinische Fragestellungen.

Verschiedene Arten von sozialen Amöben zeigen eine beeindruckende Diversität in ihrer Morphologie, ihrem Lebensstil - wir kennen sogar eine räuberische Spezies -, in den chemo-kommunikativen Apparaten, mit denen sie ihre Aggregation koordinieren, aber auch in der Fraktion an Zellen der Population, die während der Entwicklung "zum Wohl des Organismus" als Stielzellen absterben.

Im Vortrag soll neben einer Einführung in die Biologie der sozialen Amöben auch anhand taxonomischer und molekularer Modelle die Evolution der Organismengruppe diskutiert werden. Wie hat sich die Vielzelligkeit aus der Einzelligkeit entwickelt? Wie evolvieren Kommunikationssysteme, die chemisch ganz unterschiedliche Botenstoffe verwenden? Wie hat sich der "programmierte Zelltod" bei der Morphogenese entwickelt?

Prof. Georg Pohnert [Jena] - 12.06.2012

Chemische Interaktion von Phytoplankton - Untersuchung von regulatorischen Prizipien mittels metabolischen Methoden und Bioassays

Abstract:

Es gibt zahlreiche Befunde die belegen, dass einzellige Algen im Phytoplankton mit anderen Organismen dieser Lebensgemeinschaft interagieren können. Besonders die durch chemische Signale vermittelteten Interaktionen haben in den letzten Jahren große Aufmerksamkeit erhalten. Intrazellulär gespeicherte Metaboliten beeinflussen z.B. die Nahrungsaufnahme von Herbivoren; Verbindungen die hingegen an die Umgebung freigesetzt werden haben zusätzlich das Potenzial in der Kommunikation der Algen mit der mikrobiellen Lebensgemeinschaft eine Rolle zu spielen. In diesem Vortrag werden Ansätze vorgestellt, wie die Dynamik dieser Interaktionen mit Methoden der Naturstoffchemie, Metabolomforschung, und Bioassays untersucht werden können. Ergebnisse die zeigen, dass hoch dynamische Prozesse mit zeitabhängig gebildeten chemischen Signalen eine große Rolle in der Interaktion mit anderen Phytoplankton Arten (Allelopathie), Pathogenen und Herbivoren (chemische Verteidigung) spielen werden vorgestellt.

Dr. Marcel Quint [Halle] - 05.06.2012
Die Developmental Hourglass Theorie

Abstract:

Die Tatsache, dass sich die Embryonalstadien unterschiedlicher Tierarten ähneln ist eine Erkenntnis, die bereits im 18. und 19. Jahrhundert, u.a. in den Arbeiten von Jean Baptiste Robinet, Charles Bonnet und Karl Ernst von Baer, Erwähnung findet. Der Morphologe Louis Agassiz entdeckte im Fossilienbefund eine weitere Parallele: Er bemerkte, dass sich sehr häufig die Reihenfolge, in der bestimmte Organisationsformen in der Erdgeschichte auftauchen, in der Abfolge der Entwicklungsstadien widerspiegelt. Diese Dreifach-Parallelität veranlasste Ernst Haeckel zu der Feststellung, dass die individuelle Entwicklung eines Organismus (Ontogenese) in geraffter Form die Stammesgeschichte (Phylogenese) rekapituliere. Seit längerem ist bekannt, dass alle Vertebraten eine Entwicklungsperiode durchlaufen, in der ihr Ähnlichkeitsgrad überdurchschnittlich hoch ist. Dieses so genannte "phylotypische Stadium" tritt etwa in der Mitte der Embryonalentwicklung auf, während in der vorangegangen und nachfolgenden Periode die artspezifischen Unterschiede dominieren. Selbiges gilt auch für Insekten. Zur Beschreibung wurde das so genannte Developmental hourglass model (Sanduhrmodell) entwickelt, welches den "phylotypischen" Zustand maximaler Ähnlichkeit in der "Wespentaille" der Ontogenese beschreibt.

Obwohl das phylotypische Stadium zusammen mit dem Developmental hourglass im Tierreich eines der historischen entwicklungsbiologischen Phänomene darstellt, wurde es für Pflanzen bislang nicht diskutiert. Da sich die einzelnen Stadien der Embryogenese aller Blütenpflanzenarten morphologisch generell sehr ähnlich sind, kann das Developmental hourglass in Pflanzen nur auf molekularer Ebene getestet werden. Wir haben kürzlich mit einem Evolutionary transcriptomics Ansatz zeigen können, dass ein Developmental hourglass auf molekularer Ebene für die pflanzliche Embryogenese existiert (Quint et al, submitted). Ähnlich wie bei Zebrafisch und Drosophila (Nature 468:815) wird es durch die Runterregulierung junger und schnell evolvierender Signalgene in der mittleren Phase der Embryogenese verursacht. Zusammengefasst legen unsere Ergebnisse die aufregende Hypothese nah, dass tierische und pflanzliche Embryogenese einer gemeinsamen Logik folgen. Das ist besonders interessant, da Embryogenese in Tieren und Pflanzen unabhängig voneinander entstanden ist. Das Developmental hourglass in tierischer und pflanzlicher Embryogenese ist demnach ein klassisches Beispiel für konvergente Evolution. Wir haben weitere Hinweise dafür, dass sich so ein Developmental hourglass nicht auf die Embryogenese beschränkt, sondern auch in anderen essentiellen Prozessen, wie der Blütenentwicklung, zu finden ist (Drost & Quint, unpublished). In Zukunft wollen wir unsere Hypothese von der Existenz multipler entwicklungsbiologischer Sanduhren in verschiedenen Pflanzenarten und Entwicklungsmechanismen testen.

Dipl. Biol. Thomas Beer [Halle] - 29.05.2012
Schneealgen - Photosynthese am Gefrierpunkt

Abstract:

Schneealgen sind einzellige Grünalgen die ausschließlich im Schnee polarer und alpiner Regionen vorkommen und durch Antigefrierproteine, antioxidative Pigmente und einen komplexen Lebenszyklus in der Lage sind, auch unter eisigen Bedingungen Photosynthese zu betreiben und Biomasse aufzubauen. Durch die Pigmente der Schneealgen entsteht das Phänomen des sogenannten „Blutschnees“ bei dem sich der Schnee ganzer Berghänge von zartrosa bis tief rot verfärbt. Sowohl die außergewöhnlichen Anpassungsstrategien an Kälte und Strahlung, als auch das breite Spektrum an Pigmenten sind wissenschaftlich und industriell von großem Interesse, geben jedoch immer noch große Rätsel auf.

Prof. Birgitt Sattler [Uni Innsbruck]

Leben im Eis der Pole, der Alpen und der Atmosphäre - die Kryosphäre

Abstract:

Die Kryosphäre ist jener Bereich der Erde, welcher permanent kalt ist und bislang als mikrobieller Lebensraum unterschätzt wurde ob der extremen Bedingungen wie tiefe Temperaturen, hohe Strahlung, geringe Nährstoffkonzentrationen sowie geringe Verfügbarkeit von Wasser, welche die Voraussetzung für Leben ist.
Diese Vorlesung beschreibt eine Zusammenstellung verschiedener Eisökosysteme, welche über Meereis, hochalpines See-Eis, Gletscher und - und Schelfeis sowie Permafrost reicht. Ein neuer Aspekt dieser Arbeit ist die Miteinbeziehung eines neuen Lebensraumes, nämlich der Atmosphäre, welche erst seit ca. 10 Jahren als Habitat für Einzeller beschrieben worden ist. Bislang ist jedoch nicht bekannt, inwiefern dieser Bereich von Wolkensystemen als definitives Habitat Akzeptanz erreichen wird, da durch die geringe Lebensdauer der verschiedenen Wolken wenig bis kaum Stabilität für Bioaerosole gegeben ist. Jedoch ist die Rolle von Mikroorganismen in Wolken von großer Bedeutung als Eiskeime bzw. auch als Quellen von Abbauprodukten. Laufende Untersuchungen an der Universität Innsbruck konzentrieren sich momentan auf Studien bis in die Stratosphäre.
Es ist ebenso erst seit kurzem bekannt, dass alpine und polare Gletscher als mikrobielle Ökosysteme gelten und durch diese Aktivität wesentlich zum globalen Kohlenstoffkreislauf beitragen können. Speziell unter dem Aspekt der Gletscherschmelze wird organischer C freigesetzt und für tiefere Lagen zur Verfügung gestellt. Die Quantifizierung dessen gestaltete sich bislang als äußert schwierig und war nur mit manipulativen Methoden möglich. Ein neues Laser-Scanning System - auf einem Modellhubschrauber angebracht – kann mittels Anregung der photosynthetisch aktiven Pigmente mit einem 532nm Laser direkt in der Eismatrix die Mengen quantifizieren, wodurch ein großflächiges Scannen von Eisflächen ermöglicht werden könnte. Zudem werden hier Gletscher nicht nur als sensitives Ökosystem beschrieben, sondern auch als Deponie von künstlichen Radionukliden vom Reaktorunfall in Tschernobyl sowie Atombombentests aus den 60er Jahren.
Mit zunehmendem Temperaturanstieg wird die ökologische Relevanz der Kryosphäre durch ihre Sensitivität und Konnektivität zu tiefer gelegenen Systemen in alpinen sowie polaren Bereichen
immer brisanter.

Abstract: Mimikry - Tarnen und Täuschen in der Tier- und Pflanzenwelt
Manfred Ayasse, Institut für Experimentelle Ökologie, Universität Ulm

Sowohl im Tierreich als auch bei Pflanzen findet man häufig Mimikrysysteme. Dabei werden falsche Tatsachen vorgetäuscht: Ein Signalsender dient als Vorbild für den Nachahmer; für den Nachahmer entstehen Vorteile durch die Täuschung des Signalempfängers. Durch diese Täuschung soll z.B. ein Beutegreifer zurückgeschreckt werden oder die Reproduktion maximiert werden. Mimikrysysteme stellen faszinierende komplexe Formen der Biokommunikation dar und eigenen sich in besonderem Maße für einen Einblick in die Dynamik evolutiver Prozesse. In meinem Vortrag möchte ich verschiedene Mimikryformen im Tier- und Pflanzenreich vorstellen, darunter auch Beispiele der eigenen Forschung. Kuckuckshummeln leben als Sozialparasiten in den Nestern anderer Hummelarten. Als Überlebens- und Reproduktionsstrategie verwenden sie häufig Chemische Mimikry. Orchideen gehören zu den Organismen, bei welchen die faszinierendsten Beispiele von Mimikry vorkommen. Sie haben viele raffinierte Tricks entwickelt, um ihre Bestäuber anzulocken. Ein Drittel aller Arten gehört zu den Täuschblumen. Im Vortrag werden die Reproduktionsstrategien mehrer Täuschorchideen vorgestellt.

Newsarchiv verlassen

Zum Seitenanfang